Forever ungegautscht ...

... ODER: GAUTSCHEN – WAS IST DAS?

Sommer 2015. Gute Laune, angenehme 27 Grad und eine Einladung zum Grillen bei den Großeltern von Freunden, führte zu einem für mich unbekannten Thema, über das ich heute noch gerne nachdenke. Bewaffnet mit einem Boxbeutel Silvaner, machte ich mich auf den Weg zu den Wankmüllers nach Gerabronn, die einst Besitzer einer Druckerei waren.

Der Beruf des Grafik-Designers war nicht immer wie jetzt. Früher gab es in Druckereien Schriftsetzer, oder kurz Setzer. Sie waren die ersten Typografen. Mit einem Schriftsatz aus Blei, setzten sie die einzelnen Letter in einen Setzkasten, dessen Bestücken eine Kunst für sich war. Damals (wie heute beim layouten) war zu beachten, dass der Text für Anzeigen, Flugblätter, Prospekte etc. ordentlich läuft, egal ob im Blocksatz, zentriert oder im Flattersatz – sogar Tabellen wurden gesetzt. Aus dem Beruf des Setzers wurde im Zuge der Modernisierung der Ausbildungsberufe, Schritt für Schritt der Beruf des Grafik-Designers: Über Reprohersteller, Werbe- und Medienvorlagenhersteller, Reprograf und Fotogravurzeichner, zum Mediengestalter für Digital- und Printmedien und schlussendlich zum Grafik-Designer. 

Was dabei verloren ging, war ein alter Brauch, der jeden Setzer-Lehrling erwartete, nachdem er seine Ausbildung bestanden hatte: das Gautschen. 

Der Opa von Samantha, einer guten Freundin, fragte mich nach meinem Beruf, Grafik-Designer war meine Antwort. Er fing an zu grinsen und fragte mich, ob ich denn auch gegautscht wurde. Der Begriff sagte mir gar nichts, was er höchstwahrscheinlich an meinem Blick sah. Ich sollte ihm in sein Büro folgen, in dem er mir stolz seinen Gautschbrief zeigte und mir erklärte, was es mit der Tradition der Gautschzeremonie auf sich hatte: Alle Beteiligten des Aktes (Gäutschling, Gautschmeister, zwei Packer, Schwammhalter und mehrere Zeugen) werden safe Nass. Dem Gäutschling wird der Termin, an dem er gegautscht wird, nicht mitgeteilt. Es geht los wenn der Gautschmeister: „Packt an!“ ruft. Die Packer stechen los und greifen sich den Gäutschling. Wenn dieser es schafft abzuhauen, muss er die Kosten des Gautschfestes nicht selber bezahlen. Schaffen es die Packer den Gäutschling zu fassen, wird er in eine mit Wasser gefüllte Wanne gesetzt. Alternativ auf einen nassen Schwamm. Wichtig ist, dass der Hintern nass wird. Meistens wird sich jedoch ordentlich gewehrt, sodass das Wasser in der Wanne ordentlich spritzt und der Gäutschling auch von oben begossen wird, sodass er patschnass wird. Der Schwammhalter hält dazu noch eine Ansprache, in der meistens Johannes Gutenberg, der Erfinder des Buchdrucks, vorkommt und der frischgebackene Geselle als „Jünger Gutenbergs“ und „ehrbarer Schwarzkünstler“ betitelt wird. Eine schöne Sache, oder?

Auch heute wird in manchen Betrieben das Gautschen noch praktiziert. Daran glauben müssen neben Druckern auch Druckvorstufentechniker und manchmal sogar Mediengestalter. Manche Druckereien gehen sogar so weit und wollen den Gautschbrief sehen. Wenn der Geselle keinen vorweisen kann, wird die Prozedur nach Jobantritt nachgeholt. 

Ich persönlich wurde nicht gegautscht – forever ungegautscht – könnte man sagen. Trotzdem finde ich den Brauch super. Er macht das Handwerk der Druckereien für mich noch sympathischer. 

Das Ende der ehrbaren Schwarzkünstler? 
Ich bin, wie meine Kunden wissen, kein Fan von Online-Druckereien, auch wenn die Preise sehr erschwinglich sind. In erster Linie machen diese jedoch den Markt kaputt und zwingen gute traditionelle Druckereien in die Knie – und das ist traurig. Denn mit den aussterbenden Druckereien, gehen auch irgendwann Bräuche wie das Gautschen komplett verloren. Deswegen kann ich jedem nur ans Herz legen, gute Handwerksbetriebe, irgendwelchen Preisdumping-Druckereien vorzuziehen. Eine gescheite Brezel bekommt man auch eher bei einer traditionellen Bäckerei und nicht bei einem Discount-Bäcker.